Der Berufsverband Deutscher Geowissenschaftler (BDG) vergibt jährlich eine Auszeichnung für das Gestein des Jahres. Es geht hier vor allem darum, die Bedeutung der jeweiligen Gesteine für Gesellschaft und Wirtschaft der Öffentlichkeit zu präsentieren. 2022 wurde dem Gipsstein (Gips selbst meint streng genommen nur das Mineral, nicht das Gestein!) sowie seinem kristallwasserfreien Pendant Anhydritstein diese Ehre zu Teil.

Gips ist bereits seit tausenden von Jahren als Rohstoff von Interesse. So wurden vor rund 9.000 Jahren bereits Gipsputze verwendet. Heute wird Gips vor allem als Baugips, in Gipsplatten und Fließestrichen verwendet. Doch auch bei Arznei, Dünger, Farben, Papier, Kunststoff, Kosmetik und Lebensmittel kommt Gips zum Einsatz.

Gips und Anhydrit spielen jedoch nicht nur als Rohstoff eine Rolle. Auch als Baugrund sind sie relevant. Hierbei zeigen sich leider weniger schöne Eigenschaften, die bei der Gründung von Bauwerken zu beachten sind:

Risiko von Erdfällen und Geländesenkungen über Gipsstein

Das Gestein des Jahres 2022 ist wasserlöslich: Versickert Niederschlag im Boden und fließt als Grundwasser durch die Klüfte von Gipsstein, kommt es zu Lösungserscheinungen. Das Mineral Gips besteht aus einem Calcium- und einem Sulfation (plus „Kristallwasser“). Wasser, das in Kontakt mit Gips kommt, löst das Mineral auf und transportiert seine Bestandteile in wässriger Lösung ab. Die Klüfte weiten sich in Folge des Materialentzugs und größere Hohlräume bilden sich. Über Jahrhunderte und Jahrtausende bilden sich so mitunter gewaltige Höhlen. Als Beispiel sei hier die 262 Kilometer lange Gipshöhle Optymistytschna Petschera in der Ukraine genannt. Doch auch in Deutschland haben wir bedeutsame Gipshöhlen, wie zum Beispiel die Gipshöhle Höllern (mit 1.040 Metern die größte Süddeutschlands).

Der Prozess dieser Auslaugung wird als Karst bezeichnet. Karsthöhlen haben landschaftlich sicher ihren Reiz, als Baugrund kann Karst jedoch hochproblematisch sein. An der Erdoberfläche ist oft nicht zu erkennen, dass sich nur etwas unterhalb Hohlräume befinden. Auch bei der Baugrunduntersuchung bleiben sie oft unerkannt, denn mit den oft eingesetzten Kleinrammbohrungen („Rammkernsondierungen“) und Rammsondierungen kann Gipsstein nicht durchdrungen werden. Wenige Dezimeter Gestein über dem Hohlraum reichen aus, um verborgen zu bleiben. Man geht also trotz Baugrunduntersuchung von vermeintlich tragfähigem Boden aus. Dies kann sich schnell ändern, wenn das Bauwerk errichtet wird und der Rest an Gesteinsüberdeckung der Last nicht standhält. Doch selbst wenn sich zunächst nichts tut, der Zahn der Zeit nagt weiter am Gips und sorgt fortwährend für eine weitere Destabilisierung.

Kommt es in der Folge zu Geländesenkungen oder Erdfällen, kann dies zu einem (wirtschaftlichen) Totalschaden am Gebäude führen. Unter Umständen ist eine Sicherung mit komplizierten Nachgründungen möglich, im schlimmsten Fall bleibt nur der Abriss.

Besonders betroffene Gebiete sind beispielsweise Teile von Tirol. Hier kam es wiederholt zu Erdfällen durch Gipslösung, so dass eigens eine Gipskarstverordnung eingeführt wurde, die zu Probebohrungen verpflichtet. Grundsätzlich wird in solchen Gebieten auch empfohlen, dass Regenwasser von Dachflächen nicht zu versickern, sondern kontrolliert abzuleiten. So sollen fortschreitende Lösungsprozesse unterbunden werden.

Gips schädigt Beton

Auch nach Auflösung kann das Gestein des Jahres 2022 kann auch noch Probleme machen. Das Stichwort lautet Betonaggressivität:

Kommen die Sulfat-Ionen in der Lösung in Kontakt mit Beton kommt es zur Reaktion von Bestandteilen des Zementsteins mit dem Sulfat. Das Produkt ist ein Mineral namens Ettringit. Ettringit hat ein 8 Mal größeres Volumen als sein Ausgangsprodukt und sprengt unter dem Kristallisationsdruck den Beton auf. Ebenfalls möglich ist die Bildung des Minerals Thaumasit, das ebenfalls zu einer Auflösung des Zementsteins und in der Folge zu einer Entfestigung führt. Bei hohen Sulfatkonzentrationen kann sich sogar wieder Gips bilden, ebenfalls mit negativem Einfluss auf den Beton. Der Prozess der Mineralumwandlungen beim Beton wird auch als Sulfattreiben bezeichnet.

Das Sulfattreiben führt zu Rissen und Abplatzungen also generell zu einer Entfestigung des Betons und einer Verschlechterung seiner Tragfähigkeit. Daher sollte bei einer Baugrunduntersuchung vorallem in Gebieten, in denen geologisch bedingt Gips vorhanden ist, eine Untersuchung des Grundwassers auf seine Betonaggressivität hin erfolgen. Ist das Problem bekannt, kann in der Planung darauf reagiert werden. So gibt es spezielle Zemente, die einen hohen Sulfatwiderstand aufweisen und entsprechend widerstandsfähig gegen die Bildung von Ettringit sind. Diese sulfatresistente Zemente tragen den Namenszusatz SR.

Anhydrit: Auch Gestein des Jahres 2022

Anhydrit besteht wie Gips aus einem Calcium- und einem Sulfation, allerdings fehlt hier das Kristallwasser. Entsprechend ist der Anhydritstein beim Gestein des Jahres 2022 ebenfalls mitgemeint. Während das größte Risiko bei Gips für Bauwerke darin besteht, dass es zu Senkungen kommen kann, verhält es sich bei Anhydrit genau andersrum:

Kommt der wasserfreie Anhydrit unterhalb einer bestimmten Grenztemperatur in Kontakt mit Wasser, so kommt es zur sogenannten Hydratation. Ein Teil des Wassers wird als Kristallwasser in die Kristallstruktur des Anhydrits eingelagert – Gips entsteht. Die Volumenzunahme von Gips nach Anhydrit beträgt rund 60% und ist damit außerordentlich beträchtlich. Es braucht nicht viel Phantasie um sich vorzustellen, was mit Gebäuden passiert, unter denen sich die Umwandlung von Anhydrit zu Gips abspielt. Die Volumenzunahme kann zu starken Hebungen des Geländes führen, die dabei selten gleichmäßig ablaufen. Das Gewicht von Gebäuden spielt hierbei keine Rolle, der Quelldruck ist viel zu stark. In der Folge kann es zu massiven Hebungsrissen in den Wänden von Bauwerken und zu Schiefstellungen führen.

Staufen: Anhydrit beeindruckend in Aktion

Ein besonders prominentes Beispiel für die massiven Schäden durch die Umwandlung von Anhydrit zu Gips ist Staufen im Breisgau.

Was ist in Staufen passiert? Das Staufener Rathaus im historischen Ortskern wurde 2006 und 2007 umfangreich saniert und renoviert. Im Zuge der Modernisierung wurde auch auf eine neue Heizungsanlage gesetzt, die über Geothermie heizen und kühlen sollte. Hierfür wurden Geothermiebohrungen erstellt. Die Bohrungen führten zunächst durch eine Gipskeuperschicht, die Anhydrit enthält. Darunter wurde eine Schicht angebohrt, bei der das Grundwasser unter hohen Druck stand. In der Folge drang das Grundwasser in die Gipskeuperschicht ein und die Umwandlung von Anhydrit zu Gips wurde in Gang gesetzt. Das Prinzip wird anhand der nachfolgenden Abbildung anschaulich:

Blockmodell des Hebungsprozesses durch die Umwandlung von Anhydrit zu Gips unter Staufen. Bild (c) Stiftung zur Erhaltung der historischen Altstadt Staufen

In der Folge kam es zu Hebungsrissen, die in den letzten 14 Jahren rund 270 Gebäude in Staufen zum Teil massiv beschädigt haben. Die Hebungen sind auch 2022 noch immer nicht abgeklungen, auch wenn durch Abpumpen des Wassers das Möglichste getan wird, um den Prozess zu verzögern beziehungsweise zu verhindern. Der Betrieb der Pumpen muss auf unabsehbare Zeit fortgesetzt werden, damit die Hebung nicht wieder Fahrt aufnimmt. Die Schätzung der bisherigen Schäden liegt bei über 50 Millionen Euro!

Fazit zum Gestein des Jahres 2022 als Baugrund

Das Gestein des Jahres 2022: Als Rohstoff begehrt, als Baugrund kompliziert. Gips und Anhydrit können das Bauen schwer machen und zu massiven Schäden führen. Durch eine sorgfältige Baugrunderkundung und eine umsichtige Planung können die meisten Probleme jedoch gut in den Griff bekommen werden. Wurde hier jedoch geschlafen und ist der Schaden bereits eingetreten, kann dies schwerwiegende Konsequenzen haben. Auch ein Abriss des Gebäudes ist dann nicht ausgeschlossen. Schon vor der ersten Bohrung sollte daher auch den geologischen Karten volle Aufmerksamkeit gewidmet werden. Verbreitungsgebiete von Gips und Anhydrit sind in Deutschland in der Regel gut bekannt.